Essen – 29. Januar 2024. Nach vier Krisenjahren in Folge geraten die Städte und Kreise zunehmend an ihre Belastungsgrenze. Wenn nicht in diesem Jahr eine tragfähige Lösung der Altenschuldenproblematik gefunden und bei der strukturellen Unterfinanzierung gegengesteuert wird, droht eine erneute Krise der Kommunalfinanzen, warnen die Verfasser der aktuellen Ausgabe des Kommunalfinanzberichtes für die Metropole Ruhr. Die Finanzanalyse im Auftrag des Regionalverbandes Ruhr (RVR) von einem Autorenteam um Professor Dr. Martin Junkernheinrich von der RPTU Kaiserslautern wurde am Montag (29. Januar) an Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel und Thomas Kufen, stellv. Sprecher des Kommunalrats und Oberbürgermeister der Stadt Essen, übergeben.
„Wir hatten Glück, dass die Steuereinnahmen 2022 nochmals unerwartet hoch ausgefallen sind“, sagt Finanzexperte Prof. Junkernheinrich. So zeigt die aktuelle Ausgabe des Kommunalfinanzberichtes Ruhr für die Städte im Ruhrgebiet für das Jahr 2022 einen Überschuss von (vorläufig) 693 Millionen Euro. Aktuell rutschen viele Ruhrgebietskommunen aber wieder in ein Defizit, beobachtet Junkernheinrich mit Sorge. „Der Haushaltsausgleich taugt immer weniger als Gradmesser für die kommunale Lage. Ausgeblendet wird dabei die unzureichende Investitionstätigkeit, die die Infrastrukturen auszehrt, die hohe Steuerbelastung im Ruhrgebiet und die Notwendigkeit der Tilgung von Liquiditätskrediten.“
Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, sagt mit Blick auf die Altschulden: „2022 und 2023 waren für die Kommunen im Ruhrgebiet verlorene Jahre. Dass Land und Bund noch immer kein tragfähiges Konzept für die Altschuldenproblematik vorgelegt haben, kommt uns nun bei den gestiegenen Zinsen teuer zu stehen.“ Geld, das für Investitionen statt für Zinsen deutlich besser angelegt gewesen wäre. Kufen fordert daher: „Wir brauchen noch in diesem Jahr eine Regelung, die uns Kommunen endgültig von hohen Liquiditätskrediten und Zinsrisiken befreit. Wenn Land und Bund eine tragfähige Lösung vorlegen, werden wir Städte unseren Anteil zur Lösung des Problems beitragen.“
„Wir haben in den letzten fünf Jahren gesehen, dass die harten Konsolidierungsanstrengungen der Ruhrgebietskommunen Früchte getragen haben, und konnten aus eigener Kraft bereits Altschulden im Volumen von 3,6 Mrd. Euro tilgen“, so Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel. „Dieser Erfolg ist nun gefährdet. Die Landesregierung muss deshalb dauerhaft und verlässlich für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung sorgen.“ Die Kommunen im Ruhrgebiet belasten allein Milliarden Kassenkredite, die sie aus eigener Kraft nicht abtragen können.
Finanzexperte Prof. Junkernheinrich: „Es ist fachlich und kommunalpolitisch unstreitig, dass die vielfältigen Herausforderungen in den Städten und Kreisen nicht mit dem bestehenden Finanzrahmen erfüllt werden können.“ Insbesondere für finanzschwache Kommunen seien die dringend erforderliche Modernisierung der Infrastruktur, der Neu- und Ausbau von Schulen, die Digitalisierung und die Wärmewende nicht zu bewältigen. „Eine Erhöhung der Zuweisungen des Landes und ein staatlicher Infrastrukturfonds wären wichtige Lösungsbeiträge.“
Der Kommunalfinanzbericht Ruhr zeigt, dass die geringe eigene Investitionskraft der Kommunen im Ruhrgebiet ganz wesentlich eine Folge der hohen Auszahlungen für soziale Leistungen ist. Im Jahr 2022 lagen sie netto mit 881 Euro je Einwohner:in um 319 Euro über denen der Kommunen in den westdeutschen Flächenländern ohne NRW. Das bedeutet eine Mehrbelastung von 1,64 Mrd. Euro. Der Mehraufwand für soziale Leistungen bedeutet, dass über eine Milliarde Euro in der Region nicht für Investitionen, bessere Leistungen oder niedrigere Realsteuerhebesätze zur Verfügung stehen – und auch nicht zur Tilgung der Liquiditätskredite eingesetzt werden können. Markus Schlüter, Bereichsleiter Wirtschaftsführung beim RVR, resümiert: „Im Ruhrgebiet werden die Investitionen von zwei Seiten in die Zange genommen: durch die Tilgungsverpflichtung und die überproportionalen Sozialausgaben.“
Das Fazit im aktuellen Kommunalfinanzbericht fällt zwiespältig aus. Zwar sind die Kommunen im Ruhrgebiet in den letzten Jahren auf ihrem Konsolidierungsweg gut vorangekommen. Dieser Erfolg ist aktuell aber in einem hohen Maße gefährdet. Die Forderungen sind daher umso klarer: In diesem Jahr müssen das Altschuldenproblem gelöst, die kommunale Finanzausstattung an die Aufgaben angepasst und Investitionen ermöglich werden.
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